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© Franca Wrage

Kategorie

Meisterkonzerte

Ort

Festspielhaus CCH

Einführungsvortrag

19.30 Uhr

Passions-Package

Programmheft

Bachs barockes Meisterwerk in der Osterzeit

 

Sie gehört zu den berühmtesten und ergreifendsten Vokalwerken der Musikgeschichte: Bachs Johannes-Passion fasst die Geschichte von Jesu Leiden und Tod kongenial in ihrer Größe und Emotion in Töne. Die Passion folgt dem biblischen Bericht, ergänzt um Choräle und frei gedichtete Arien. Das 1724 in Leipzig uraufgeführte Werk ist die älteste Passionsmusik Bachs und wurde im Zuge der Bach-Renaissance etwa 100 Jahre später wiederentdeckt.

Zum zweiten Mal in der Saison 2024/2025 arbeiten das VOKALWERK der OH! und die Cappella Aquileia – Orchester der OH! – unter der Leitung von Marcus Bosch mit dem Jungen Kammerchor Ostwürttemberg zusammen, um ein großes chorsinfonisches Meisterwerk zur Aufführung zu bringen. Bachs zweite überlieferte Passion – die Matthäus-Passion – erklingt nur einen Tag nach dem Konzert als Kooperation zwischen den Aalener und Heidenheimer Kantoreien in der Pauluskirche.

Zu einer gemeinsamen Einführungsveranstaltung der Johannes-Passion und Matthäus-Passion sind Sie am Sonntag, den 30. März 2025, um 18 Uhr ins Paulusgemeindehaus eingeladen. Matthias Jochner, Thomas Haller und Leonard Hölldampf geben Hintergrundinformationen und beleuchten Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Kompositionen.

Zu den beiden Passionsaufführungen können Sie Kombitickets als "Passions-Package" erwerben, die im Vergleich zu den Einzeltickets vergünstigt angeboten werden.

 

PROGRAMM

 

Johann Sebastian Bach

Johannes-Passion BWV 245

 

PROGRAMMHEFT

 

Jesu Leiden in Musik

"... dass der Cantor zu St. Thomas alhier, Joh. Kuhnau, auf künftigen Charfreytag die Passionshistorie gerne figuraliter in der Thomas Kirche musicieren möchte, weil doch solches etliche Jahre her in der Neu-Kirche geschehen, diese Kirche aber die große Frequenz derer Leute und Zuhörer nicht gestatte", legte der Leipziger Rat 1721 den Grundstein, um nun auch in der Thomaskirche die Musik an Karfreitag "figuraliter" (d. h. mehrstimmig und kunstvoller) zu gestalten. Im Jahr 1717, vier Jahre zuvor, war in der Neukirche eine neuartigen Passionsmusik aufgeführt worden, die den Passionsbericht der Bibel mit frei gedichteten Texten ergänzte. Beim großen Erfolg dieser Aufführung konnte die verhältnismäßig kleine Neukirche dem Besucherandrang kaum standhalten. Johann Kuhnau, der Amtsvorgänger Bachs in Leipzig, führte daraufhin 1721 und im Folgejahr Passionen in den beiden Hauptkirchen St. Thomas und St. Nicolai auf. Diese Passionsmusiken waren bedeutend schlichter als die späteren Werke Bachs, folgten aber einer neuen Mode, die kurz zuvor in Hamburg aufgekommen war.

Seit jeher nimmt die Lesung der Leidensgeschichte Jesu nach den vier Evangelien einen festen Platz in den Gottesdiensten der Karwoche ein. Seit altkirchlicher Zeit wird sie in verteilten Rollen vorgetragen – zunächst nach Formeln des gregorianischen Chorals. Bereits seit dem 13. Jahrhundert werden den Rollen bestimmte Tonlagen zugeordnet. So erklangen bereits damals die Christusworte in tiefer Stimmlage. Der Evangelist erzählt in mittlerer Tonhöhe, die übrigen Einzelpersonen (Soliloquenten) und Gruppen (Turba) wurden in höherer Tonlage gesungen. Diese Aufteilung findet sich auch in den Passionen Johann Sebastian Bachs. Später übernahm dann der Chor die Rolle der Einzelpersonen und Gruppen in der sogenannten responsorialen Passion, in der Solisten und Chor dialogisch die Passionsgeschichte erzählen. Kurz nach der Reformation entstanden erste Passionen in deutscher Sprache, wie beispielsweise die Vertonung von Johann Walter, einem Vertrauten Martin Luthers, aus dem Jahr 1530. Von Heinrich Schütz sind gleich drei Passionen dieser Art nach Lukas, Johannes und Matthäus überliefert. Ab dem 16. Jahrhundert kamen dann erstmals Instrumente hinzu. Die kompositorischen Neuerungen der Generalbass-Praxis und des monodisch-rezitativischen Stils der Oper fanden Eingang in die Kirchenmusik und führten zur oratorischen Passion. Der Evangelientext wurde in dieser neuen Form durch kommentierende Texte ergänzt. Bach vollendete diese Tradition mit seinen vermutlich fünf Passionsvertonungen, von denen lediglich die nach Johannes und Matthäus vollständig und eine Markus-Passion in Fragmenten überliefert sind.

Im 18. Jahrhundert entstand eine neue Art der Passion, die den Leidensweg Jesu nicht mehr mit Bibelworten, sondern in umgedichteter Form und mit betrachtenden freien Texten erzählte. Diese Passionsoratorien fanden keinen Platz mehr im Gottesdienst und wurden zur autonomen Kunstmusik außerhalb der Liturgie. Carl Heinrich Grauns Der Tod Jesu oder Beethovens Christus am Ölberg folgen dieser Tradition. Die bekannteste Passionsdichtung dieser Art stammt von dem Hamburger Dichter Barthold Heinrich Brockes. Er veröffentlichte 1712 den Text Der für die Sünde der Welt gemarterte und sterbende Jesus, der von zahlreichen Komponisten wie Reinhard Kaiser, Georg Philipp Telemann, Johann Mattheson oder Georg Friedrich Händel vertont wurde. Aufgrund der Popularität der Brockes-Passion wurde Hamburg zum Zentrum der Passionspflege abseits der Kirche. Wie das einführende Zitat zeigt, wurde Telemanns Brockes-Passion 1717 in Leipzig mit Begeisterung aufgenommen. Dennoch war sie wohl für die Leipziger zu modern. Die Passionsmusiken, die Johann Kuhnau dann für Chor, Solisten und Orchester komponierte, waren im Vergleich dazu eher schlicht und folgten – auf ausdrückliche Anweisung der Leipziger Kirchenbehörde – dem biblischen Passionsbericht als Textgrundlage.

 

Bachs Meisterwerk

Als Johann Sebastian Bach (1685–1750) die Nachfolge Kuhnaus als Kantor der Leipziger Hauptkirchen antrat, hatte er die Johannes-Passion als sein erstes großes Werk für Leipzig vermutlich bereits im Gepäck. Ihre Uraufführung fand am Karfreitag 1724 in der Nikolaikirche statt, vorgesehen war sie nach Ansicht vieler Musikwissenschaftler bereits für das Jahr zuvor. Bach schuf eine oratorische Passion, die Teil des Gottesdienstes war und die sich am Passionsbericht des Johannes-Evangeliums nach der Luther-Bibel orientierte. Er ergänzte ihn jedoch um freie Texte und Choräle. Wer ihm bei der Zusammenstellung dieser Texte geholfen hat ist nicht bekannt. Einige der Texte beruhen auf der Brockes-Passion, wurden allerdings stark verändert. Was die Leipziger an diesem Karfreitag-Nachmittag hörten, war etwas radikal Neues. Da es zu dieser Zeit üblich war, an Karfreitag zweimal den Gottesdienst zu besuchen, erlebten viele an diesem Tag vormittags die seit dem Mittelalter praktizierte, schlicht mit verteilten Rollen gesungene responsoriale Passion und am Nachmittag die dramatische, kunstvolle Vertonung derselben Geschichte, die in ihrer kompositorischen und harmonischen Kühnheit alles übertraf. Bach setzte sich mit diesem Werk an die Spitze der musikalischen Passionstradition. Er blieb traditionell in seiner Orientierung am Bibeltext, die musikalischen Mittel aber, mit denen er die Passionsgeschichte vertonte, gingen in ihrer Modernität weiter als bisherige Passionsmusiken. Bach komponierte die Johannes-Passion bewusst für den Gottesdienst, der dadurch ca. drei Stunden dauerte. Der erste Teil der Passion erklang vor der etwa einstündigen Predigt, der zweite im Anschluss daran.

Die Johannes-Passion wurde von Bach mehrmals umgearbeitet und für spätere Aufführungen verändert. So führte er sie bereits ein Jahr nach der Uraufführung erneut auf, tauschte in dieser zweiten Fassung aber zahlreiche Sätze aus. Eine dritte Fassung ähnelt der ersten. 1749 wurde das Stimmenmaterial einer vierten Fassung für größeres Orchester angefertigt. Bachs erstes großes Leipziger Werk ist also eine "Dauerbaustelle" und erklingt heute meist als Mischform auf der Basis der ersten Fassung. Nachdem Felix Mendelssohn Bartholdy 1829 Bachs Matthäus-Passion wiederaufgeführt hatte, rückte auch die Johannes-Passion ins Interesse der Musikwelt. Robert Schumann beurteilte die sie als um vieles "kühner, gewaltiger und poetischer" als die nach Matthäus, deren Vorsprung an Aufführungshäufigkeit die Johannes-Passion jedoch erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts aufholt.

 

Jesus als König

Bach verband in seinen beiden großen Passionen auf geniale Weise Schriftlesung einerseits und Schriftauslegung andererseits. Der Bibeltext des Johannes-Evangeliums wird in schlichten aber textlich-musikalisch tiefgründig gestalteten Rezitativen erzählt. Im Stil des Secco-Rezitativs sind auch die Worte von Jesus und der anderen Einzelpersonen gehalten. Dramatisch vertont Bach hingegen die Worte der Widersacher Jesu. Die Konfrontation des Juden Jesus mit dem Volk der Juden wird affektgeladen nachgezeichnet. Die insgesamt 14 Turba-Chöre sind durch ein formales Beziehungsnetz miteinander verflochten – acht Turbae sind zum Beispiel paarweise durch ähnliche Gestaltung miteinander verbunden. Den Gang der Handlung unterbrechen acht Arien und zwei Ariosi, die den Hörer zum vertiefenden Betrachten der Stationen der Leidensgeschichte anregen sollen. Die insgesamt zwölf Choräle symbolisieren das singende Bekenntnis der Gemeinde, ermöglichen direktes Mitleiden und stellen in der musikalischen "Muttersprache" der Gemeinde einen direkten Bezug zwischen biblischer Vergangenheit und Gegenwart her. Die Anzahl der Choräle kann man als Verweis auf die zwölf Jünger Jesu deuten.

Eingerahmt von zwei großen Chorsätzen entfaltet Bach auf diese Art dramatisch und packend die Passionsgeschichte und zeichnet ihre Stationen und Emotionen musikalisch nach. Seine Interpretation wechselt dabei zwischen zwei Blickrichtungen. Der Blick nach vorn erzählt in den Rezitativen und Turbae den Gang der Handlung. Der zweite Blick mit den Arien und Chorälen richtet sich nach innen und reflektiert das Gehörte. Bereits im Eingangschor "Herr, unser Herrscher" arbeitet Bach auf die Theologie des Johannes-Evangeliums musikalisch heraus. Der Chorsatz fällt vollkommen aus dem Rahmen üblicher Passionseinleitungen, denn er ist nicht die Aufforderung an den Hörer, Jesu Leiden andächtig nachzuvollziehen, sondern es ist ein machtvolles Loblied auf Jesus Christus. Denn der jüngste Evangelist Johannes sah Jesus nicht als Dulder, sondern als Herrscher, der souverän den vorbestimmten Leidensweg geht und zurückkehrt zum Vater. Der "Held aus Juda" steht im Mittelpunkt des dramatischen Geschehens.

Auch die zentrale Arie "Es ist vollbracht" nach Jesu Tod besingt Jesus als königlichen Sieger. Bach wählt als Vorlage dieser Da-capo-Arie den Stil des französischen Tambeaus, einer Begräbnismusik für hochrangige Persönlichkeiten, vorgetragen von Lauteninstrumenten. Er setzt die Viola da gamba als Sologegenspieler der Altstimme ein, aber verkehrt die Da-capo-Form. Diese ist gewöhnlich dynamisch als laut-leise-laut gestaltet, doch Bach beginnt und endet verhalten und setzt den Mittelteil vollstimmig und laut und symbolisiert damit: der König stirbt, aber dennoch siegt er. Auch der Schluss verweist auf Christus als den Himmelskönig. Die Choralstrophe "Ach Herr, lass dein Lieb Engelein", die Bach auf den Begräbnischor "Ruhet wohl" noch folgen lässt, schlägt mit der Anrufung "Ach Herr" den Bogen zu den "Herr"-Rufen des Eingangschores. Die Schlusszeile "ich will dich preisen ewiglich" knüpft an die Verherrlichung Jesu als Himmelskönig an. Bach lässt die Gemeinde die Passion beschließen – der Choral setzt den einzelnen Hörer in direkte Beziehung zum Passionsgeschehen und gibt am Schluss der Passionsgeschichte der individuellen Auferstehungshoffnung Raum.

 

Zu den Biografien gelangen Sie, indem Sie bei der Besetzung auf den jeweiligen Namen klicken.

Kreativteam

Dirigent Marcus Bosch

Besetzung

Sopran Sophie Klußmann
Alt Henriette Gödde
Tenor Michael Feyfar
Bariton Gerrit Illenberger
Ancilla Kristína Szegedi-Dinušová
Servus Michael Weigert
Petrus, Pilatus Matthias Lika

Ensembles

Chor Junger Kammerchor Ostwürttemberg
Chor VOKALWERK der OH!
Orchester Cappella Aquileia – Orchester der OH!