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© Franca Wrage

Kategorie

Meisterkonzerte

Ort

Festspielhaus CCH

Einführungsvortrag

17.30 Uhr

Programmheft

 

Romantische Chorsinfonik als inniges Glaubensbekenntnis

 

Als 1846 – ein Jahr vor Felix Mendelssohn Bartholdys frühem Tod – das Oratorium Elias in Birmingham uraufgeführt wurde, musste die britische Eisenbahn Sonderzüge einsetzen, um die interessierten Menschenmassen aus London zum Konzert zu transportieren. Der biblische Stoff des Chorwerks zeichnet den Lebensweg des gleichnamigen Propheten nach: von seinem leidenschaftlichen Kampf, alle Israeliten Jahwe zuzuwenden, über seinen Lebensüberdruss bis hin zu seiner dramatischen Himmelsfahrt in einem feurigen Wagen.

Gleich zwei von Marcus Bosch gegründete Chöre bestreiten die Aufführung des Oratoriums: Der Chor der vocapella entstand 1990 in Heidenheim, das VOKALWERK der OH! wurde später für Konzerte der Opernfestspiele zunächst in Nürnberg gegründet. Die beiden Chöre werden bei Elias unterstützt von Mitgliedern des Jungen Kammerchors Ostwürttemberg, der seit Jahren immer wieder mit den Profis der OH! gemeinsam auf der Bühne steht.

 

PROGRAMM

 

Felix Mendelssohn Bartholdy

Elias op. 70, Oratorium

 

PROGRAMMHEFT

 

Erfolg nach zähem Ringen

"Die letzte Note des Elias ging im langanhaltenden, einstimmigen und ohrenbetäubenden Beifallssturm unter. Es war, als ob seit Langem zurückgehaltene Begeisterung sich plötzlich Bahn brach und nun den Raum mit Jubelrufen erfüllte. Mendelssohn, sichtlich überwältigt, verbeugte sich in tiefer Dankbarkeit und stieg darauf schnell vom Dirigentenpult herab. Doch war er gezwungen, unter abermalig aufbrausenden Jubel- und Hurra-Rufen noch einmal auf die Bühne zu treten. Nie zuvor hatte es einen so vollständigen Erfolg gegeben, nie eine umfassendere und unmittelbarere Anerkennung eines Kunstwerkes", fasste die Times den immensen Triumpf Felix Mendelssohn Bartholdys (1809–1847) bei der Uraufführung seines Oratoriums Elias zusammen. Vorausgegangen war dem Erfolg jedoch ein langes Kämpfen: Nach der umjubelten Uraufführung des Paulus im Jahr 1836 hatte Mendelssohn sogleich den Entschluss gefasst, ein weiteres Oratorium zu schreiben. Das war auch der Popularität der Gattung geschuldet, die vor allem bei den zahlreichen bürgerlichen Singvereinigungen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Anklang fand. Mendelssohn hatte sich schon zuvor intensiv mit großen sinfonischen Chorwerken geistlichen Inhalts auseinandergesetzt: Seiner Wiederaufführung der Matthäus-Passion im Jahr 1829, die nach Bachs Tod in Vergessenheit geraten war, verdanken wir die bis heute anhaltende Bach-Renaissance. Und auch mit den Werken Händels, allen voran dem Messias, aber auch Samson, Israel in Egypt, Solomon und Jephta, die er allesamt selbst in Düsseldorf dirigiert hatte, war er bestens vertraut.

Zunächst trug sich Mendelssohn mit der Idee eines Petrus-, Saulus- oder Johannesstoffes. Auch ein Oratorium rund um die Geschichte des von den Israeliten geschlagenen Amurriterkönigs Og von Baschan stand zur Debatte. Zumindest sind das Vorstellungen, die er mit seinem Freund Karl Klingemann (1798–1862) diskutierte. Mit diesem begann er im Zuge seines insgesamt fünften Aufenthalts in London 1837 an der Ausarbeitung des Librettos für das Oratorium: "Ich hatte mir beim Elias einen rechten durch und durch Propheten gedacht, wie wir ihn heutzutage wieder brauchen könnten: stark, eifrig, auch wohl bös und zornig und finster", schrieb der Komponist damals an einen Freund. Nach anfänglicher Begeisterung zog sich Klingemann jedoch zunehmend aus dem Projekt zurück. An seiner statt wandte sich Mendelssohn an den Dessauer Pfarrer Julius Schubring (1806–1889), der bereits den Text zu Paulus geliefert hatte. Die Zusammenarbeit gestaltete sich schwierig: Schubring, der Theologe, wollte vor allem die Bezüge zum Neuen Testament unterstreichen. Ihm wurde "die Sache zu objectiv …, aber wenig erquicklich für das Herz des Zuhörers. Alle Verwünschungen, – die Opferszenen und der Regen – vorher Jesabel usw., alles ist nicht so, daß es uns heutzutage von Herzen kommen könnte, daher so, daß es auch nicht zu Herzen geht … [Wir] müßten noch Fleiß anweden, um das Dramatische herunterzudrücken und das Kirchliche zu heben und immer wieder darin zurückzulenken", schrieb er am 1. November 1838 an Mendelssohn. Der antwortete prompt: "... wenn ich eins zu bemerken hätte, war's, daß ich das dramatische Element noch prägnanter, bestimmter hier und da hervortreten sehen möchte. Rede und Widerrede, Frage und Antwort, Einfallen in die Rede usw., usw."

Der Konflikt zwischen theologischem Inhalt und opernhafter Dramatik wird auch musikalisch deutlich: Der Elias ist an vielen Stellen von der Dramatik Händels geprägt, das mehr innerliche Geschehen nach Bachs Vorbild zieht oftmals den Kürzeren. Um einen Kompromiss zu finden, wandte sich Mendelssohn erneut an Schubring: "Mit dem dramatischen Element scheint mir noch irgend ein Differenzpunkt zwischen uns zu sein; bei einem solchen Gegenstande wie Elias ... muß das Dramatische vorwalten, wie mir scheint – die Leute lebendig redend und handelnd eingeführt werden, nicht aber, um Gotteswillen, ein Tongemälde daraus entstehen, sondern eine recht anschauliche Welt ... [U]nd das Beschauliche, Rührende, nach dem Du verlangst, müßte eben alles durch den Mund und die Stimmung der handelnden Personen auf uns übergehen." Kurze Zeit später stellten Mendelssohn und Schubring die schwierige Zusammenarbeit ein – Elias wurde auf unbestimmte Zeit aufgeschoben.

Zumindest, bis Mendelssohn am 11. Juni 1845 eine Einladung von Joseph Moore erhielt, das Birmingham Music Festival im folgenden Jahr zu leiten und ein eigens zu komponierendes Oratorium dort aufzuführen. Aufgrund seines seit Längerem angeschlagenen Gesundheitszustands sah sich der Komponist außer Stande, die Leitung zu übernehmen. Jahre voller Konzertreisen und Verpflichtungen als Dirigent, Pianist und Violinist hatte ihren Tribut gefordert. Den Kompositionsauftrag wollte er jedoch gern übernehmen. Und so begann er, unterstützt von Schubring, das Libretto durch geeignete Bibelstellen zu vollenden. Die Zeit drängte: Erst zwei Monate vor der anvisierten Uraufführung erhielt das Komitee des Festivals die Stimmen für den ersten Teil, die jedoch nach der Übersetzung ins Englische noch einmal umgearbeitet werden mussten. Erst neun Tage vor dem Konzert lagen alle Noten vor. Mendelssohn brach am 18. August 1846 nach London auf. Nach hastigen Proben brachte ein Sonderzug am 24. August alle Ausführenden – den Komponisten, die Solistinnen und Solisten, 125 Orchestermusiker und nicht weniger als 271 Chorsängerinnen und -sänger nach Birmingham. Schon im Vorfeld war der Erfolgsdruck groß. Die Times kündigte das neue Werk als "größte Errungenschaft von Mendelssohns Genius" an. Nach zwei weiteren Proben – den einzigen in vollständiger Besetzung – wurde Elias am 26. August in einer Matinée uraufgeführt.

"Noch niemals ist ein Stück von mir bei der ersten Aufführung so vortrefflich gegangen und von den Musikern und den Zuhörern so begeistert aufgenommen worden, wie dieses Oratorium", teilte der Komponist seinem Bruder Paul mit. Und weiter: "Die ganze dritthalb Stunden, die es dauerte, war der große Saal mit seinen 2000 Menschen und das große Orchester alles so vollkommen auf den einen Punkt, um den sich's handelte, gespannt, dass von den Zuhörern nicht das leiseste Geräusch zu hören war [...]. Nicht weniger als vier Chöre und vier Arien mussten wiederholt werden. […] Es war gleich bei der ersten Probe in London zu sehen, daß sie es gern mochten und gern sangen und spielten, aber daß es bei der Aufführung gleich einen solchen Schwung und Zug bekommen würde, das gestehe ich, hatte ich selbst nicht erwartet. Wärst Du nur dabei gewesen!" Trotz des großen Erfolges machte sich Mendelssohn sogleich an eine gründliche Überarbeitung des Werkes. So fügte er unter anderem zahlreiche neue Sätze hinzu. In dieser Form, die auch heute noch gespielt wird, kam Elias erstmals am 16. April 1847 in London zur Aufführung. Auch Königin Victoria und Prinz Albert wohnten dem Konzert bei. Letzterer notierte auf dem Textbuch, dass er an Mendelssohn zurücksandte, voller Begeisterung: "Dem edlen Künstler, der, umgeben von dem Baalsdienste einer falschen Kunst, durch Genius und Studium vermocht hat, den Dienst der wahren Kunst wie ein anderer Elias treu zu bewahren und unser Ohr aus dem Taumel eines gedankenlosen Tönegetändels wieder an den reinen Ton nachahmender Empfindung und gesetzmäßiger Harmonie zu gewöhnen – dem großen Meister, der alles sanfte Gesäusel wie allen mächtigen Sturm der Elemente an dem ruhigen Faden seines Gedankens vor uns aufrollt – zur dankbaren Erinnerung geschrieben. Buckingham Palace. Albert." Die erste Aufführung in Deutschland – in Hamburg am 8. Oktober desselben Jahres – verpasste Mendelssohn aufgrund seiner in arge Mitleidenschaft geratenen Gesundheit. Weniger als einen Monat später verstarb er im Alter von 38 Jahren an den Folgen mehrerer Schlaganfälle. Sein Oratorium jedoch überdauerte ihn und wurde schon bald eines der meistgespielten Chorwerke neben Händels Messias.

 

"Jahwe ist mein Gott"

… bedeutet der Name des Propheten Elias – und ist damit sogleich Programm der Geschichte: Elias, der in der Bibel als Regenmacher, Magier und Exzentriker in einem auffälligen Mantel dargestellt wird, verflucht zu Beginn des Oratoriums das Volk, da es sich von Jahwe abgewandt hat. Eine mehrjährige Dürre soll das Land treffen. Musikalisch enthält dieses einleitende Rezitativ zwei Kernmotive des gesamten Werkes: Eine aufsteigende Dreiklangfigur in der Gesangslinie des Propheten, die man als Wort-Gottes-Motiv deuten kann, und eine Strenge Folge abwärts gerichteter dissonanter Tritonus-Intervalle, die den Fluch versinnbildlichen. Die daran anschließende Ouvertüre illustriert das Leid des Volkes, dass sich schließlich in einem Klageschrei im ersten Chorsatz Bahn bricht: "Hilf, Herr! Willst du uns denn gar vertilgen?" Nur Obadja, der Mitstreiter Elias‘ hält Trost bereit. Doch auch er vermag die Verzweiflung nicht zu lindern.

Ein Engel befiehlt dem Propheten, das Volk zu verlassen. Ihm wird der Schutz Gottes zugesichert. Das berühmte Doppelquartett "Denn er hat seinen Engeln befohlen" geht auf eine ältere Komposition Mendelssohns aus dem Jahr 1844 zurück. Elias wird aufgefordert, eine Witwe in Zarpath aufzusuchen. Dort angelangt, bittet sie ihn, ihren todkranken Sohn zu heilen. Nachdem Elias Gott dreimal um seine Gnade gebeten hat, gelingt das Wunder.

Zurückgekehrt verkündet Elias, die Dürre zu beenden. In einem Wettstreit sollen die Baalsanhänger ihren Gott auf dem Berg Karmel anrufen. Doch auch nach dreimaligem Bitten – von Mendelssohn in drei sich immer weiter intensivierenden Chorsätzen dargestellt – regnet es nicht. Elias hingegen ruft Jahwe voller Gefühl an. Dieser sendet sein Feuer herab (das man in den Streichern lodern hört) und gewährt das Wunder. Elias lässt die Baalspriester ergreifen und hinrichten. Dreimal kehrt ein von ihm ausgesandter Knabe zurück, ohne jedoch nur einen Regentropfen gesehen zu haben. Doch kurz darauf bricht im Orchester ein Gewitter los, das die wogenden Wassermassen in Musik gießt. Ein Dankeslied beendet den ersten Teil.

Die beiden Arien zu Beginn des zweiten Teils hatte Mendelssohn für die "schwedische Nachtigall" Jenny Lind komponiert, die als Solistin für die Uraufführung vorgesehen war. Daran schließt die Verfolgung des Propheten an: König Isebel, eine treue Baalsanhängerin, hat das Volk gegen Elias aufgehetzt. Einsam und isoliert beschließt er: "Es ist genug." Die Arie lehnt sich deutlich an das Vorbild "Es ist vollbracht" aus Bachs Johannes-Passion an, nicht nur in der Melodieführung, sondern auch in der Begleitung durch ein Solo-Violoncello. Elias zieht in die Wüste, die Engel segnen ihn dabei im A-cappella-Terzett "Hebe deine Augen auf". Er wird zum Berg Horeb gesandt, wo er – nach dem Vorbild Moses‘ – Gott selbst begegnen soll. Lautmalerisch beschreibt Mendelssohn die drei Naturgewalten Sturm, Erdbeben und Feuer, die dem Erscheinen Gottes vorausgehen. Dieser zeigt sich im Anschluss jedoch durch ein mystisches Säuseln, ganz leise in den Streichern. Nach einem siebenstimmigen Engelschor verabschiedet sich Elias von der Welt. Der rotglühende Streitwagen, mit dem er in den Himmel auffährt, wird durch den dramatisch-mächtigen Chor und schmetternde Trompeten in Szene gesetzt.

Der anschließende Epilog – und hier wird Schubrings Einfluss deutlich erkennbar – deutet auf die Ankunft des Messias in der Nachfolge des Propheten Elias hinaus: "Aber einer erwacht von Mitternacht, | und er kommt vom Aufgang der Sonne. | Der wird des Herren Namen predigen | und wird über die Gewaltigen gehen; | das ist sein Knecht, sein Auserwählter, | an welchem seine Seele Wohlgefallen hat. | Auf ihm wird ruhen der Geist des Herrn: | Der Geist der Weisheit und des Verstandes, | der Geist des Rats und der Stärke, | der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn. | Aber einer erwacht von Mitternacht, | und er kommt vom Aufgang der Sonne. | Wohlan alle, die ihr durstig seid, | kommt her zum Wasser, kommt her zu ihm! | Und neigt euer Ohr, so wird eure Seele leben." Das abschließende "Amen" wird gegen ein letztes Aufklingen des Fluch-Motivs gesungen, dessen Dissonanzen nun endgültig aufgelöst werden.

 

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